Nach der amerikanischen Kehrtwende in der Ukraine-Frage beginnen die Europäer zu verstehen, dass „Europa für seine eigene Verteidigung sorgen muss“, so ein Experte für europäische Militärangelegenheiten. Auch wenn der amerikanische Präsident angesichts Putins – nicht seinen Erwartungen entsprechend – etwas nachgegeben hat, haben Misstrauen und Zweifel die transatlantischen Beziehungen nachhaltig belastet. Infolgedessen glauben die Menschen in Brüssel und Straßburg, wie auch in den Hauptstädten des gesamten Kontinents, dass Europa ohne ein autonomes Verteidigungssystem nicht auskommt. Während Frankreich in den letzten Jahren mit seinem Streben nach einer stärkeren europäischen Integration in diesem Bereich isoliert schien, hat sich der Kontext unter dem zunehmenden Druck der russischen Offensive und Donald Trumps gleichzeitigem Rückzug von seinem Widerstand gegen Putins Russland erheblich verändert. Damit bestätigt sich das „physikochemische“ Gesetz, wonach jede russische Bedrohung und jeder amerikanische Separatismus die Union der Europäer stärkt, anstatt sie zu spalten. Dieses Gesetz haben weder Moskau noch Washington verinnerlicht. Das müssen sie lernen.
Nach dem Beginn der groß angelegten russischen Invasion in der Ukraine im Jahr 2022 haben Donald Trumps Rückkehr ins Weiße Haus und die Kehrtwende der USA die Karten neu gemischt. Vor allem Deutschland und Dänemark, die bislang Atlantiker waren und sich bei ihrer Verteidigung nur auf die NATO schworen, haben ihre Verwundbarkeit erkannt und setzen sich für eine gemeinsame Verteidigung ein, was zu höheren Ausgaben führt. Großbritannien verpflichtet sich zu einer beispiellosen Erhöhung seines Verteidigungshaushalts seit dem Kalten Krieg und erhöht ihn von 2,3 Prozent des BIP auf 2,5 Prozent. Die baltischen und nordischen Länder werden ihre Militärhilfe für die Ukraine aufstocken. Dänemark erhöht seine Verteidigungsausgaben auf 3 Prozent des BIP, zusätzliche 50 Milliarden Kronen (6,8 Milliarden Euro). In Frankreich brachte Emmanuel Macron laut France Inter bei einem Treffen mit politischen Parteien am 20. Februar die Idee auf, den Verteidigungshaushalt von 2,1 Prozent des BIP auf 5 Prozent zu erhöhen. Frankreich, das seinen Status als führende Militärmacht der EU behalten möchte, hätte dann die gleichen Militärausgaben wie Polen, das angesichts des Kreml-Imperialismus an vorderster Front mit der Ukraine steht. Die Europäer verstehen, dass sie sich in Bezug auf ihre Sicherheit „nicht länger auf die Vereinigten Staaten verlassen können“, insbesondere nach der Brutalität und Intensität von Donald Trumps Rückzug aus der Ukraine und Europa. Allerdings ist die Verteidigung für die EU seit 2014 und insbesondere seit dem Einmarsch von Putins Armee in die Ukraine im Jahr 2022 und angesichts des Vernichtungskriegs, den der Herr des Kremls dort führt, wie zuvor in Tschetschenien und dann in Syrien, zu einem Hauptanliegen geworden.
Als Reaktion auf Trumps eher gescheiterten Versuch, mit Putin über die Europäer hinweg Frieden zu schließen – wenn auch nicht auf ihre Kosten, so doch zum großen Nachteil der Ukraine – haben Donald Tusk (Polen), Wolodymyr Selenskyj (Ukraine) und Emmanuel Macron (Frankreich) reagiert; Keir Starmer (Großbritannien) und Friedrich Merz (Deutschland) (siehe Foto) trafen sich am 9. und 10. April 2025 spontan in Kiew, um den Kern einer europäischen NATO zu bilden, die vorerst als „Koalition der Willigen“ bezeichnet wurde. Sie kehrten somit als Europäer zu den Verhandlungen zurück (ohne Trump zu drängen) und stellten Putin die Bedingungen für einen sofortigen Waffenstillstand. Dieser beeilte sich natürlich„in Zeitlupe“, diesen Vorschlag nicht zu akzeptieren, während er seine tödlichen und terrorisierenden Angriffe, vorzugsweise nachts, auf die ukrainische Zivilbevölkerung systematisch verstärkte. Mit heldenhafter Geduld reagierte die ukrainische Armee nicht mit Angriffen auf Russland, insbesondere nicht auf Putins Palast am Kap Idokopas am Schwarzen Meer, oder gar auf den Kreml. Tatsache bleibt, dass die europäische Wiederaufrüstung und die nun sehr wahrscheinliche Lieferung von Taurus-Raketenwerfern an die Ukraine durch Deutschland eine erhebliche Bedrohung für den Autokraten in Moskau darstellen.Schliesslich hat der deutsche Kanzler Friedrich Merz hat ausserdem er Ukraine die Genehmigung gegeben, russische Militärziele in Russland anzugreifen. Damit fällt eine fast lächerliche amerikanische Einschräkung weg. Eines ist seit langem sicher: Russland kann seinen Krieg in der Ukraine nicht gewinnen. Längerfristig könnte es ihn auch verlieren, aus Gründen, die erneut geprüft werden müssen.
Dies zeigt sich in Deutschland, wo der neue Bundeskanzler Friedrich Merz, einst als „Atlantiker“ bekannt, nun offen für eine autonome europäische Verteidigung eintritt. Die europäischen Verträge sehen zwar nicht die Schaffung einer europäischen Armee vor, was aufgrund sprachlicher Unterschiede (nicht alle Soldaten sprechen Englisch usw.) ohnehin schwierig ist, besagen aber, dass die Union eine gemeinsame Verteidigung anstreben wird, „sobald der Europäische Rat dies einstimmig beschlossen hat“. Ein solcher Beschluss könnte zur Schaffung einer europäischen Armee oder zumindest einer europäischen Verteidigung führen. Der Generalstab vom Eurokorps, der die europäischen Armeen in Straßburg aus koordiniert, liegt daher ausschließlich in der Verantwortung der Staats- und Regierungschefs. Diese haben in diesem Bereich bisher keine Fortschritte erzielt, doch diese können nicht mehr lange auf sich warten lassen.
Tatsache bleibt, dass die europäischen Verträge Hilfe und Unterstützung aller EU-Mitgliedstaaten „mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln“ vorsehen, wenn eines von ihnen Ziel einer Aggression auf seinem Territorium ist. Darüber hinaus öffnet die neue strategische Lage die Tür für eine Rückkehr Großbritanniens in die EU noch weiter. London verfügt über militärische und nukleare Streitkräfte und ist wie Frankreich ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrats. Wie seine europäischen Verbündeten zweifelt es an der Zuverlässigkeit von Präsident Donald Trump. Frankreich hatte 2018 mit der Unterzeichnung der Europäischen Interventionsinitiative (EII) einen ersten Schritt auf England zu gemacht. Unsere Länder haben jeweils ihre eigenen Besonderheiten und müssen diese angesichts der europäischen Bürokratie bewahren, ohne in Hypernationalismus zu verfallen. Angesichts des russischen, chinesischen oder islamistischen Gegners können sie sich jedoch nur retten, wenn sie sich im Kampf für die Unabhängigkeit unseres Kontinents vereinen.
(mit AFP und verschiedenen Quellen, JPP. C’l’Europe. März-Mai 2025)