Donald Trump stellt seine Weichen

Ein kurzer Blick auf die jüngsten internationalen Ereignisse rund um Europa und sein Umfeld zeigt, dass zwei Mächte im Nahen Osten an Boden verloren haben: Russland und Iran. Die Achse Russland-Syrien-Iran ist zerstört. Dies ist eine unbestreitbare Verbesserung der Situation für die Europäische Union und ihre Kandidatenstaaten, von denen allerdings der wichtigste, der unbeliebteste, die Türkei Erdogans, der große Gewinner dieser Veränderung ist. 

Die internationale Situation, womit Trump seit dem 21. Januar konfrontiert ist, nachdem er in den USA alle Machtbefugnisse erhalten hat, ist für die Vereinigten Staaten weniger schlimm als vor einigen Monaten, zumindest, wenn der neue amerikanische Präsident keine fatalen Fehler wie die Rückeroberung des Panamakanals, wie die Eroberung befreundeter Staaten wie Kanada und Dänisch-Grönland begeht, wie er es den  Wunsch formuliert hat. Dänemark muss jetzt seinen Militärhaushalt aufstocken, um einen eventuellen amerikanischen Angriff abzuiwehren.

Dies erinnert an Trumps Drohung während seiner ersten Amtszeit, die NATO aufzulösen. 

Im Kreml wird darauf sicher mit Wodka angestossen.

Erdogans Vormarsch

Erdogans Türkei half der islamistischen HTS-Bewegung von Mohammed Al Joulani (Ahmed al-Charaa), Syrien in einer Woche blitzschnell zu erobern und Bashar al-Assad und sein mörderisches Regime zu vertreiben. Auf die gleiche Weise hatte Erdogan ein Jahr zuvor die gewaltsame, aber kampflose Vertreibung der Armenier aus deren Berg-Karabach durch seinen aserbaidschanischen Vasallen Ilham Aliyev noch schneller, nämlich innerhalb von zwei Tagen, unterstützt.

Wir können in diesen beiden Schritten Erdogans den Beginn einer Neuzusammensetzung des Osmanischen Reiches im türkischsprachigen Raum sehen. Der Westen wird seine kurdischen Verbündeten gegen ihn unterstützen müssen. Dort schwelt ein weiterer Konflikt innerhalb der Nato, weil die Türkei Nato-Mitglied und ausserdem EU-Kandidat ist.

Der Iran und der Rückzug aus der „Palästina-Vision“

Der Iran, dem Erdogans Türkei nahestand, musste seine Truppen aus Syrien und seinen bewaffneten Flügel, die mächtige Hisbollah, aus dem Libanon abziehen. Die Hisbollah wurde durch israelische Angriffe zerstückelt, und die Hamas wurde im Gazastreifen fast zerschlagen (nur die verbliebenen Geiseln garantierten noch ihre Existenz). Darüber hinaus gelang es Israel, ohne zivile Opfer zu machen, den Großteil der konventionellen und chemischen Waffen auf syrischem Gebiet zu zerstören, insbesondere Scud-Raketen. Benjamin Netanjahu gelang es mit der Unterstützung seines Volkes, das Libanon, den Gazastreifen und letztendlich Syrien  trotz der pro-palästinensischen Propagandamaschinerie in Europa und in den USA fast vollständig zu neutralisieren. Einzig die schiitischen Huthis im Jemen bleiben als Hilfstruppen des Irans eine potenzielle Gefahr.

Donald Trump ist bekanntlich dem hebräischen Staat gegenüber wohlgesinnter als Joe Biden es bereits war. Er wird weiterhin darauf hinwirken, Israel näher an die arabischen Staaten heranzuführen, darunter an Saudi-Arabien und Marokko, wie es durch die Abraham-Abkommen initiiert worden war, ein Abkommen, das durch den von der Hamas in Israel verübten Völkermord am 7. Oktober 2023 untergraben wurde. Er hat auch angedeutet, dass der zerstörte Gaza-streifen in Saudi-Arabien oder ägypten wieder aufgebaut werden könnte. Das würde die Spannung mit Israel sicherlich entschärfen.

Dem neuen amerikanischen Präsidenten gefällt die „Zweistaatenlösung“ Israel-Palestina nicht, die einst Bill Clinton vorschwebte und die den europäischen Staats- und Regierungschefs, den Arabern und den Vereinten Nationen am Herzen liegt. Diese unnatürliche Lösung eines quasi-Zwillingsstaates aus Juden und Arabern wäre so, als würde man Hund und Katze in einen Käfig einem sperren. Zum Glück waren die Palästinenser dagegen, weil sie allerdings das gesamte Gebiet Palästina ohne die Juden haben wollten. Für Trump ist die Palästinafrage zweitrangig. „Wir können nicht damit weitermachen, dass alle fünf Jahre eine Tragödie passiert, sagte er. Es gibt Alternativen.“ 

Hauptproblem: die iranische A -Bombe

Der Iran hat Uran auf 60 Prozent angereichert. Bald, bei 80 oder 90 Prozent kann er die Bombe bauen. Sollte der Iran in den Besitz der Bombe gelangen, könnte er nicht nur auf Israel, sondern auch auf ganz Europa Druck ausüben. Trump muss im In- und Ausland die iranische Schädlichkeit reduzieren. Der Zeitpunkt ist günstig angesichts der militärischen Misserfolge der Hilfstruppen des Mullah-Regimes, des inneren Aufstands im Iran, der aktuellen dortigen Demonstrationen gegen die Misswirtschaft in der Industrie und bei der Gasförderung und des mutigen Widerstands iranischer Frauen gegen das islamische Gesetz und das Tragen des Schleiers. 90 Prozent der iranischen Bevölkerung sind Gegner dieses seit fast 40 Jahren herrschenden mörderischen islamistischen Regimes.

Freilich, die äußeren Niederlagen Teherans werden den Iran dazu drängen, die unmittelbar bevorstehende Herstellung seiner Atomwaffe zu beschleunigen. US-Botschafter James Jeffrey, Leiter des Nahost-Programms am Wilson Center in Washington, stellte sich Netanjahus herzliches Telefonat mit Trump vor: „Donald, willst Du das tun oder wir? Wenn wir es tun, wird es wirklich hässlich und Dir wird die Art und Weise nicht gefallen, wie es gemacht wird.Es liegt an Dir.“ (siehe Interview in Le Monde vom 19. Dezember 2024). 

Tatsache ist, dass Israel mit einem seiner beispiellosen Angriffe auf den Libanon gezeigt hat, dass es über Raketen verfügt, die in der Lage sind, ihr Ziel in 30 Metern Tiefe unter der Erdoberfläche zu erreichen – von der enormen Überlegenheit seiner Armee und seines Geheimdienstes ganz zu schweigen. Als Vergeltung für den iranischen Drohnenangriff auf Israel am 13. April 2024 zerstörte die israelische Luftwaffe sämtliche Luftabwehranlagen rund um die iranischen Atomanlagen. Das Ziel war 2.000 Kilometern weit von ihren Stützpunkten. So sind die iranischen Atomschmieden nun ohne Luftschutz der Zerstörung ausgeliefert. Dies ist eine weitere Leistung der israelischen Armee. Darüber hinaus kam es zu keinen zivilen Opfern, während das erklärte Ziel Teherans und seiner Stellvertreter nach wie vor die Tötung von Juden bleibt. 

Dass die Abrechnung mit den Mullahs unter Ausnutzung der derzeitigen extremen Schwäche ihrer Polizeitheokratie für Trump eine Priorität ist, wurde durch ein diskretes Treffen in Washington zwischen dem „inoffiziellen Vizepräsidenten“ der Vereinigten Staaten von Trumps Gnaden, Elon Musk, und dem iranischen Botschafter bewiesen. Musk weiß nichts über den Iran, aber seine Finanzkraft ist nahezu unbegrenzt. Er kann einen Staat kaufen. Es ist nicht bekannt, was der Iraner und der reichste Mann der Welt, der den mächtigsten Staat der Welt vertrat, zueinander sagten. Aber wir können versuchen, es uns vorzustellen. Hat Musk dem Diplomaten vorgeschlagen, die unsichtbare Seite des Mondes zu islamisieren?

Trump Zelensky: Mögliche Einigung? 

Ebenso haben wir keinen Beweis dafür, dass Trump jemals mit Putin telefoniert hat, als er noch nicht in Washingont herrschte. Er wird Wert darauf legen, die Ukraine-Affäre so schnell wie möglich zu lösen. Wie die Ultrarechten in Frankreich und Deutschland unterschätzt Trump immer noch die unendliche Verlogenheit des Putin-Regimes. Dennoch brachte Emmanuel Macron bei der Einweihung der neuen Kathedrale Notre-Dame de Paris Trump und Zelenskaja zu einem diplomatischen Kompromiss zusammen.

Auf jeden Fall will Trump ein rasches Ende der Feindseligkeiten in der Ukraine, nicht durch einen Friedensvertrag, sondern durch ein Einfrieren der Lage, sodass Putin Donezk und Luhansk sowie die Krim hinter einer entmilitarisierten Zone besetzen kann, vergleichbar mit der, die die beiden Teile Koreas trennt. Ob das für Kyiv annehmabar ist, daran kann man zweifeln. Aber die Ukriane ist wie russland erschöpft.

Trump hat wohl aufgehört, von einer endgültigen Lösung des russisch-ukrainischen Konflikts zu träumen. Er weiß, dass kein multilaterales „Format“ den Konflikt lösen kann, solange Putin an der Macht ist, und dass wir dafür auf einen Wandel in Russland warten müssen.

Eine Verhandlungsblockade ist möglich, weil Putin nicht akzeptiert, dass die Ukraine der NATO beitritt. Würde er wenigstens einen EU-Beitritt von Kyiw tolerieren?

Seit 1991 als souveräner Staat von Russland anerkannt, könnte die Ukraine einer Feuerpause mit Gebietsverlusten ohne ausreichende Sicherheitsgarantien zusagen? Das ist wenig wahrscheinlich.

Ausblick 

Donald Trump möchte Frieden in der Welt unter dem Fittich des „Großen Amerikas“ schaffen und damit Geschichte schreiben. Für den Moment wirkt er weniger als Fantast als während seiner ersten Amtszeit. Aber wir haben ihn noch nicht bei der eigentlichen Arbeit gesehen – ausser an der mexikanischen Grenze. Die Auflösung der NATO kündigte er wenigstens noch nicht an. Sein nationalen Sicherheitsberater Mike Waltz, Abgeordneter aus Florida,  hat mit dem Biden-Berater Jake Sullivan zur Thematik Ukraine und Nahost zusammengearbeitet. Etawas istsicher, nämlich dass Trump nicht akzeptieren wird, dass Russland seine strategische Position zum Nachteil derjenigen der Vereinigten Staaten verbessert. Dennoch muss man vorsichtig sein. Als ich einem israelischen Freund sagte: „Sie müssen jetzt froh sein. Trump mag Israel“, antwortet dieser: „Ja, aber er ist verrückt“.  

(J.-P. Picaper, „C’l’Europe“, 20.12.2024)