Dominik Wullers. „Ich bin Deutschland. Plädoyer für einen liberalen Patriotismus“

Bonifatius-Verlag. Erscheinungstag: 13. Februar 2025. 256 Seiten, gebunden. Preis: 22 Euro (D). Format: 21,5 x 13,5 cm. ISBN: 978-3-98790-066-2

In einer Zeit, in der das Ich und die Betonung der eigenen Identität immer wichtiger genommen wird, gerät das Wir allzu leicht in den Hintergrund. Zunehmende Vielfalt in der Gesellschaft hat nicht selten eine Zersplitterung der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Realität zur Folge. Die westlichen Demokratien – Deutschland mittendrin ‑ können ein Lied davon singen. Umso wichtiger sind Beiträge, die aufzeigen, wie aus den Quellen der Vielfalt ein starker, gemeinsamer Strom werden kann. Dominik Wullers gelingt das auf wundervolle Weise.

Aufgewachsen in der katholisch-westfälischen Provinz bei seiner alleinerziehenden Mutter startet er ohne seinen Vater aus Cabo Verde ins Leben. Berührend die Schilderung, wie ihm durch die Großfamilie und die Einbettung in die heimatlichen Bräuche das Gefühl vermittelt wurde, „bedingungslos dazuzugehören“. Erst in der Schule sei ihm seine andere Hautfarbe bewusst gemacht worden – Kinder können brutal sein. Das scheint einen langen Weg der Selbstfindung ausgelöst zu haben. Wullers berichtet darüber in einer angenehmen, manchmal augenzwinkernden Sprache. Gut, dass seine Mutter ihm viel vorgelesen hat!

In 13 Kapiteln nimmt Wullers seine Leser mit auf eine über 250 Seiten lange und doch kurzweilige Reise durch sein Leben. Ein Leben, in dem er sich auf die Suche nach seiner Identität gemacht hat. Eine Suche, die er mit einem Ziel verbunden und in seinem Buch zu einem „Plädoyer für einen liberalen Patriotismus“ zusammengefasst hat. Ein Konzept, das auf den ersten Blick weltfremd klingt, kippt Patriotismus doch allzu oft und allzu leicht in Nationalismus und Liberalismus allzu oft und allzu leicht in Egoismus.

Wullers hält die deutsche Selbstverleugnung ebenso wenig für nachvollziehbar, wie seine Erfahrungen mit Ausgrenzung und Rassismus schmerzhaft waren. Also sucht er danach, die Fundierung im eigenen Ich und die Notwendigkeit eines freien Wir zusammenzubringen. Es ist total spannend, wie Wullers seine Gedanken hierzu entwickelt und wie er sie auf seinen verschiedenen beruflichen und privaten Stationen immer wieder an der Realität spiegelt und im Gespräch mit Freunden und Kollegen fortentwickelt. Anschaulich schildert er, wie die Suche nach der eigenen Identität zur „Identitätserschöpfung“ und auch zu einer Überbetonung des Ichs sowie zu einer Vernachlässigung des Wir kommen kann. Auf dem Klappentext des Buches hat eine solche Verirrung überlebt, wenn dort vom großgeschriebenen „Schwarzen Vater“ und der kleingeschriebenen „weißen Mutter“ die Rede ist.

Interessant ist seine Darstellung, dass man auch von dem geprägt wird, was Generationen zuvor in der eigenen Familie und Heimat geschehen ist – was also der Großvater in der NS-Zeit gemacht oder unterlassen hatte und welche Folgen für die Identität die Bombardierung der Heimatstadt bis heute hat. Wundern dürfte den einen oder die andere auch sein Fazit, dass sich – ausgerechnet! – in der als „rechts“ verschrienen Bundeswehr die Herkunft – beruflich, sozial, ethnisch – am wenigstens auswirke. Hier sieht er die deutsche Gesellschaft „bereichert durch Integration“ (nicht durch Einwanderung!). Man sei „Soldat unter Soldaten und ein Deutscher unter Deutschen“, wie es im Klappentext heißt. Auch mit anderen Vorurteilen hatte er sich auseinanderzusetzen: Etwa, dass Migrationshintergrund automatisch zu linker politischer Einstellung führen müsse. Erlebnisse wie in Harvard, als er wegen seiner „weißen“ Hautfarbe von Schwarzen angepöbelt wurde, brachten weitere Aspekte für die Entwicklung seines Konzepts zu Tage.

In der Mitte des Buches ist eine Rede wiedergegeben, die sich wie ein erster programmatischer Aufschlag für sein Konzept eines liberalen Patriotismus liest. Hier sollte man das Buch aber keineswegs zuklappen! Es folgen viele interessante Erlebnisse und Gedanken und die Hinführung zu dem titelgebenden Gedanken: „Ich bin Deutschland“. Dies schießt ihm durch den Kopf, als er ‑ der dunkelhäutige Westfale ‑ hinter dem Schild „Germany“ bei der NATO für sein Land sitzt und spricht.

Wullers hat im wahrsten Sinne des Wortes erlebt, dass Freiheit, Individualität und Identität keine absoluten Werte sind, sondern einen Rahmen brauchen, um nicht in Anarchie abzugleiten. Es braucht Bürger, die „sich gegenseitig als Bürger eines gemeinsamen Staates erkennen“. Und es brauche Verbindungen zueinander – „Ligaturen“, wie er Dahrendorf zitiert. Auf dieser liberalen Basis könne der Patriotismus das Verbindende sein. Das entkrampfe auch das Verhältnis zum Staat und seinen Symbolen. Wer weiß, dass nicht Schwarz-Rot-Gold diejenige Flagge war, die für „Hass, Allmachtsfantasien und Genozid“ stand, braucht in der Tat nicht mehr als diese drei Farben, um Freiheit, Demokratie, Vielfalt und Menschenrechte zu symbolisieren.

Lesenswert ist das Buch und weit mehr als eine schlichte Biografie. Es ist ein unterhaltsames und an mancher Stelle die Augen öffnendes ´Making-of´ einer Gedankenwelt, die aufzeigen will, wie wir wegen, nicht trotz, der Vielfalt in unserem Lande mehr Miteinander schaffen können. Oder wie Julia Klöckner, die neue Präsidentin des Deutschen Bundestages, es in ihrer Antrittsrede formulierte: „Erst zusammen sind wir Deutschland. Niemand allein ist Deutschland“.

Ansgar Hollah, Vorsitzender des Vereins „Europa sein“ e.V., Kehl – Berlin