Von Marine Le Pens Putschversuch bis zur Ernennung von François Bayrou zum Regierungschef

Von Marine Le Pens Putschversuch bis zur Ernennung von François Bayrou zum Regierungschef

Wer ist für die Regierungskatastrophe in Frankreich verantwortlich?

Zweifellos zwei Personen: Emmanuel Macron, Präsident der Republik, der die Abgeordnetenkammer des Parlaments am 9. Juni 2024 aus einer Laune heraus auflöste, obwohl er dort über eine fragile, aber bestehende Mehrheit verfügte; und Marine Le Pen, die Führerin der Ultrarechten, die die Regierung von Premierminister Michel Barnier stürzte, indem sie den Misstrauensantrag der ultralinken Rebellen (les Insoumis) gegen ihn unterstützte, auf die Gefahr hin, Chaos zu säen und eine aufständische Situation zu schaffen.

Wer ist der neue Retter nach dem Sturz von Michel Barnier? François Bayrou, der Präsident der Staatlichen Planungskommission, Vorsitzender der Zentristen Modem-Partei (36 Abgeordnete in der Abgeordnetenkammer), Bürgermeister der Stadt Pau in den atlantischen Pyrenäen. Macron ernannte ihn am Freitag, dem 13. Dezember, eine Woche nach dem Sturz von Michel Barnier zum Premierminister (Regierungschef). 

Ergebnis von Macrons Laune: es gibt keine Mehrheit mehr in der Abgeordnetenkammer des Parlaments. Niemand hat dieses Spiel gewonnen; weder der Hauptsieger, der ultrarechten Nationalsammlung ( (RN); noch die Ultralinke der Rebellen (les Insoumis) vom pro-Hamas, pro-Hisbollah, antisemitischen Terroristenfreund Jean-Luc Mélenchon mit seiner NFP (Neue Volksfront), die alle linken Parteien vereint; noch die Partei von Emmanuel Macron, dessen Heiligenschein getrübt ist.

Noch nie war ein Staatsoberhaupt au Halbmandat in der öffentlichen Meinung so abgestürzt wie er. Er repräsentiert, weiht Denkmäler und Kunst ein und macht Europa- und Weltpolitik. Drei Blöcke stehen sich gegenüber: der ultrarechte Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen; die Rechte Mitte (Renaissance) von Macron Attal & Co, und das Zentrum (Modem und Liot) von Bayrou ; und die Neue Volksfront (NFP) von Jean-Luc Mélenchon. Die ultrarechte RN und die ultralinke NPF können nach Gusto jede Regierung stürzen und das Land unregierbar machen. Sie spekulieren auf den Rücktritt Macrons. Sollte Herr nçicht mehr Herr des Chaos sein, den er gesät hat, würde das an Zustände wie in der Weimarer Republik vor Hitlers Amtseinführung. Macron wurde allerdings bis zum Frühjahr 2027 vom Volk direkt gewählt und will bis zu diesem Datum in seinem Amt bleiben, um eine gewisse Kontinuität des Staates zu gewährleisten. Die ultralinke NPF hat einen Antrag auf Absetzung des Staatspräsidenten gestellt, aber das Verfahren ist sehr kompliziert und hat wenig Chancen zu gelingen. Im Falle eines Staatsstreichs könnte Macron als Staatspräsident den Ausnahmezustand verkünden (Artikel 16 der Verfassung). Er ist Oberbefehlshaber der Armeen ohne Verpflichtung, gegenüber dem Parlament.

Marine Le Pen, die ihre Partei „entdämonisieren“ und zu einer verantwortungsvollen Regierungspartei machen wollte, hatte die Verantwortung für einen destruktiven Misstrauensantrag Hand in Hand mit den Rebellen von Mélenchon, auf sich genommen. Das Ergebnis ihres Manövers war nicht klar. Sie hat jedenfalls nicht die erwartete massive Abwanderung ihrer potenziellen Wähler erlebt, die sich hätte daraus ergeben müssen, da sie gegen die Weltanschauung ihrer eigenen Partei für den Misstrauensantrag der extremen Linken gestimmt hat und die bürgerliche, kurzlebige Barnier-Regierung stürzte. Der harte Kern ihrer RN ist ihr noch treu. Allerdings könnte sich der Rand der vom RN angezogenen Wechselwähler immer noch von ihr abwenden. Aber die Unzufriedenheit der Staatsbürger mit der Staatsführung ist so stark, dass Rechtsaussen immer eine Wahlchance hat und Linksaussen die Strasse mobil manchen kann.

Was waren die Gründe für diese giftigen Entscheidungen von Macron und von Le Pen?

Niemand kann verstehen, warum Emanuel Macron das französische Parlament wegen seines eigenen Scheiterns bei den Europawahlen mit der Auflösung bestrafte. Da gab es keine andere Logik als seine schlechte Laune als Politiker, der von seinem Volk gekränkt wurde.  Er machte das ein wenig wett durch den Erfolg der Olympischen Spiele in Paris, abgesehen von deren geschmacklosen Eröffnungszeremonie, und insbesondere durch den pünktlichen Wiederaufbau der Kathedrale Notre-Dame de Paris.

Er hatte übrigens eine gute Wahl getroffen, als er  Michel Barnier zum  Premierminister erkor, einen erfahrenen französischen und europäischen Patrioten. Er hatte mit einigen guten Ministern zur Sanierung des Staates eine gute Politik eingeleitet, die bereits erste Ergebnisse im Kampf gegen Kriminalität und illegale Zuwanderung erntete, während die Ratingagenturen mit Rücksicht auf seinen Plan zur Reduzierung des Haushaltsdefizits (-3.300 Milliarden € wie gesagt) Frankreich noch verschonten.

Vieles spricht dafür, dass gerade diese ersten Erfolge der Barnier Regierung Marine Le Pen motivierten, seiner Arbeit ein Ende zu setzen. Sie unterstützte den Misstrauensantrag der ultralinken Rebellen gegen ihn und führte eine demagogische Eskalation gegen die Verbesserungen seiner Regierung in Sachen Zuwanderungseinschränkung, Drogenbekämpfung und Eindämmung der Haushaltsdefizite. Diese raschen Erfolge von Barnier hätten in der Tat  der RN und ihrer Kandidatin die Erfolgschancen bei den Präsidentschaftswahlen 2027 vermindert. Wogegen hätte sie sonst schimpfen können? Sie verbesserte mit ihrem Misstrauensantrag ihre eigenen Wahlchancen zum Schaden des Staates und des Landes. Sie stellte ihre Hoffnung, 2027 zur Staatspräsidentin gewählt zu werden, über die Interessen Frankreichs. Ultrarechte und Ultralinke flirteten unkeusch auf offener Straße miteinander.

Die Kommunisten, Grünen und Sozialisten (PS) scheinen ihrerseits vom Anarchotrotskisten Mélenchon verzaubert worden zu sein. In den Reihen der LFI (Unbeugsqmes Frankreich psiel die trotskistische POI (Internatioanlistische Arbeiter Partei, 8 000 Mitglieder, eine zentrale Rolle. Angeführt werden die Sozialisten von einem rigiden Apparatschick namens Olivier Faure und vom Radikalaktivisten Boris Vallaud, während der kluge sozialistische Europawahlgewinner Raphaël Glucksmann von der eigenen Partei an den Rand geschoben worden ist. Die PS beteiligt sich  nicht an der Bayrou-Regierung.

Bayrou (73 Jahre alt) hat dreißig Jahre lang darauf gewartet, Premierminister oder Staatspräsident zu werden. 2017 stellte er sich hinter Macron und ließ ihn 2022 ein zweites Mal wiederwählen. Weder rechts noch links erlangte er neulich die Gunst von Marine Le Pen, indem er sich gegen ein Gerichtsurteil wehrte, das sie unwählbar machen kann; indem er diskrete Beziehungen zu ihr pflegte und ihrem Misstrauensantrag nicht tadelte.

Böswillige Gerüchte  besagen, dass Bayrou sich Macron zu Füßen geworfen hat um den Posten des Premierministers zu erlangen, der seine lange politische Karriere krönt. Laut Vincent Trémolet de Villers, Journalist von Le Figaro, war das Gegenteil der Fall.

Durch einen stillen Putsch erwirkte Bayrou Macrons Zustimmung zu seiner Ernennung zum Premierminister. Er drohte mit dem Rückzug seiner 35 Abgeordneten aus der Regierungsfraktion und wies auf seine guten Beziehungen zu Frau Le Pen, die andernfalls erneut mit einem Misstrauensvotum einher ziehen würde. Während Macron und sein Schützling Gabriel Attal Marine Le Pen fern hielten, empfing sie Bayrou nach seiner Ernennung als Erste vor allen anderen politischen Leadern. Das Zusammenleben an der Staatsspitze von Macron und Bayrou, die sich zudem siezen, und nicht wie in ihren Kreisen üblich duzen, wird angespannt und schwierig sein. Bayrou wird mit allen Mitteln die Nachfolge Macrons als Präsident der Republik im Jahr 2027 anstreben.

Man sollte auch nicht vergessen, dass Bayrou 2012 den konservativen Präsidenten Nicolas Sarkozy an den Rand gedrängt hatte und den Sozialisten François Hollande zum Präsidenten hatte wählen lassen, der Frankreich so großen Schaden zufügte und letztlich so unbeliebt wurde, dass er für eine zweite Amtszeit nicht kandidieren konnte. Darüber hinaus ist Bayrou ein Befürworter des Verhältniswahlrechts, das den Willen des Volkes zersplittert und zu dauerhafter Instabilität wie in einem Parteienregime führt. Das würde dem von De Gaulle geschaffenen soliden Präsidialsystem der Fünften Republik ein Ende bereiten.

Eine Kollektivhysterie erfasst jedenfalls die politischen Eliten Frankreichs, deren „Ultras“ am System nagen, statt Republik und Demokratie zu retten. Zwei irrationale Entscheidungen, und zwar die sinnlose Auflösung der Abgeordnetenkammer Emmanuel Macron und der emotionalen Misstrauensantrag von Marine Le Pen haben das Land in Gefahr gebracht. In Deutschland hatte sich der glorreiche Aussenhandel von unsicheren Kantonisten wie Russland und China abhängig gemacht. Die Regierungskoalition zerbrach an Divergenzen und an „Kanzlerschwäche“.

Und nun kommt Trump wie der Elefant in den europäischen Porzellanladen.  

(JPP. „C’l’Europe“.11.12.2024)