„ALL IN. Energie und Wohlstand für eine wachsenden Welt.“ 1.Auflage. Prof. Dr. Josef Radermacher und Bert Beyers. Murmann Verlag. Hamburg. Okt. 2024. ISBN 9783867748056. Buch Contact Freiburg und Berlin empfohlen.

Wie gehen weltweiter Wohlstand und der Schutz des Planeten Hand in Hand? Antwort: Nicht gemäß der in Deutschland verfolgten Strategien. Global betrachtet ist der deutsche „All-Electric«-Ansatz“ ein Irrweg, denn die Entwicklungs- und Schwellenländer werden sich nicht verbieten lassen, ihre Ressourcen für ihre wirtschaftliche Entwicklung zu nutzen. Die reichen Länder haben ihre Ressourcen schließlich auch für ihre Vormachtstellung genutzt. Die Welt braucht deswegen ein alternatives, realistisches Energiekonzept.

Die Autoren schreiben mit einer Sachlichkeit und Genauigkeit über das womöglich dringlichste Thema unserer Zeit, ohne dabei den Leser aus dem Blick zu verlieren. In drei großen Kapiteln besprechen die beiden unseren Ausgangspunkt, unsere Schwierigkeiten, Chancen und betrachten ebenfalls die Finanzseite. Dieses Buch eignet sich auch für Einsteiger, die sich in den Komplex Klimapolitik einlesen möchten, ohne dabei der Frustration an dem Status quo zu unterliegen.

Im ersten Teil, Natur und Technik, skizzieren die Autoren unter anderem die Möglichkeiten, die uns durch die Natur bereits gegeben sind, um CO2 zu speichern (neben den Regenwäldern gelten die Ozeane als ebenso wichtige Speicher). Weiter zeigen sie auf, wie ein beachtenswerter Teil der Methanemissionen – neben CO2 der wichtigste klimawirksame Stoff – durch Reparaturen an Bohrlöchern, einer optimierten Zusammensetzung des Futters in der Viehzucht und anderen niedrigschwelligen Anpassungen zu 50% reduziert werden können, ungefähr 25% sogar ohne zusätzliche Kosten, „allein durch die Erhöhung der Wirkungsgrade, das Schließen von Leckagen und die Rückgewinnung von Methan“. Auch über die E-Fuels sprechen die Autoren im ersten Teil und gehen einige Rechnungen durch, an deren Ende sie auf die Zahl 2030 kommen – früher wäre es nicht möglich, diesen Treibstoff kostengünstig für eine Vielzahl an Menschen anzubieten.

Im zweiten Teil, Ausgangssituation und Lösungsrahmen, beschreiben die Autoren präzise den Status quo und die möglichen Handlungsweisen, die uns offenliegen. Immer wieder verdeutlichen sie hierbei – wie auch im gesamten Buch –, dass man sich der globalen Lage und der eigenen Position bewusstwerden muss; es ist auf den ersten Blick ein leichtes, als drittgrößte Wirtschaftsmacht eine Klimaneutralität von 2045 zu fordern und vorzeitig aus Kohle und Gas auszusteigen. Dabei aber zu glauben, dass die OPEC-Staaten dieser Welt da mitziehen würden und im selben Sinne defossilieren, ihre fossilen Energien also unverbraucht im Boden zu lassen, ist schlichtweg naiv. Passend dazu heißt es im Unterpunkt Realismus: „Realismus ist das Gebot eines jeden seriösen Vorschlags. Dazu zählt auch eine realistische Einschätzung von Zeiträumen. Wenn China […] Net Zero bis 2060 angekündigt hat, und wenn Indien als drittgrößter CO2-Emittent hinter den Vereinigten Staaten Net Zero für 2070 in Aussicht stellt, dann ist eine globale Klimaneutralität bis 2050 wenig realistisch. Ähnlich ist es mit dem 2-Grad-Ziel.“ Solche Aussagen scheinen bei der Lektüre im Subtext häufig auf und bewirken beim Leser eine Reaktion in drei Phasen:

– Als erstes fühlt man eine Resignation ob der Annahme, dass nichts mehr zu gewinnen sei und eh alles verdorben. Wenn schon die Experten meinen, dass ein 1,5-Grad-Ziel quasi nicht mehr erreichbar ist, dann hilft doch alles nichts.

– Dann liest man aber weiter und lernt die vielen Möglichkeiten kennen, die uns gegeben sind, unter anderem das vielbesprochene Carbon Capture, was einen wieder sanft optimistisch stimmt, da es nun doch nicht so fatalistisch sei.

– Und zu guter Letzt überwiegt ein Mischgefühl aus Wut und Frustration darüber, dass die Verantwortlichen entweder falsche Experten an Bord haben müssten oder aber schlicht keine bis wenig Ahnung von der Materie hätten, stattdessen auf einzelne Lieblingsthemen (beispielsweise den All-Electric-Ansatz) setzen, die sich gut anhören.

Dahingehend bieten die Autoren ein anschauliches Gedankenexperiment, in dem sie annehmen, man würde die gesamte fossile Energie Europas (nach dem Grazer Professor Georg Brasseur sind das ~67% für 2022) durch Photovoltaikanlagen gewinnen – die Fläche Rumäniens müsste dafür aufgewandt werden; diese Fläche wird noch gesucht.

Der dritte Teil, Maßnahmen und Finanzierung, beginnt mit einem Satz, den man in den heutigen Debatten gern häufiger hören möchte: „Alle Entwicklungsländer sollen sich industrialisieren können, wenn sie das wünschen, und das alles perspektivisch im Rahmen von Net Zero“. Das im folgenden Abschnitt beschriebene Maßnahmenpaket, das einen Zeitraum von 2025 bis 2070 vorsieht, behandelt nochmal alle im Buch vorgeschlagenen Optionen, beziffert deren mögliche Kosten sowie deren Finanzierung und schnürt die erfolgsträchtigsten in einer Referenzlösung zusammen.

In einem späteren Schritt gehen die Autoren auf die Finanzierung dieser Referenzlösung ein und legen offen, mit welchen Klimafolgekosten wir uns konfrontiert sähen, würden wir nicht in die der Eindämmung investieren. In dem Zusammenhang fallen unter anderem die Kosten Flutkatastrophe im Ahrtal, deren Ausmaße klar zeigen, wie wichtig eine gescheite Präventionspolitik ist, und dass jeder Euro, der für Klimaschutzmaßnahmen ausgegeben wird, einem viel größeren Berg an Geld gegenübersteht, das im Zuge versäumter Maßnahmen verbrannt wird.

Im Fazit beschließen die beiden Autoren –nachdem man im vierten Teil alle nötigen Grafiken und Diagramme ansehen konnte – ihr Buch mit einem einprägsamen Satz, den man in dieser Thematik und in diesen Zeiten beinahe Mantra artig verinnerlichen und daraus Handlungsanweisungen entnehmen sollte: „Es stimmt hoffnungsvoll, dass es eine […] Lösung gibt, bei der zumindest keine prinzipiellen Gründe dagegensprechen, dass sie umgesetzt werden kann. Hoffentlich wird diese Chance nicht verspielt, wie so viele andere davor“.

Ich bin weder Klimaaktivist noch studiere ich in eine ähnliche Richtung; dieses Buch gab mir einen guten Überblick über die Gesamtsituation und nachvollziehbare Einblicke in Fokusthemen, weshalb jedem, der sich für die Thematik interessiert oder ein Interesse daran hat zu verstehen, weshalb dieses Thema eine solche Dringlichkeit hat und welche Möglichkeiten wir noch haben, uns den Herausforderungen zu stellen.

Es ist noch nicht zu spät !

(Rezension von Joshua Jegede, „C’l’Europe“,  Hamburg-Wien. Dezember 2024)